Ganggenauigkeit: Wie genau kann eine mechanische Uhr sein?

Die genauste Uhr der Welt geht alle 100 Billionen Jahre etwa eine Sekunde falsch. Wer sich auf diese Uhr verlässt, ist also so pünktlich wie es nur geht. Allein: Diese Uhr kannst du nicht am Handgelenk tragen, nichtmal in deiner Hosentasche oder deinem Rucksack. Sie steht an der University of Colorado, ist technisch hochkomplex und läuft mit Hilfe eines Quecksilber-Ions. Aber: Welche Ganggenauigkeit ist eigentlich normal bei unseren mechanischen Uhren?

Wenn du dich am Silversterabend auf deine mechanische Uhr verlässt, während alle anderen Partygäste auf ihre Smartphones, Smartwatches, Funk- oder Quarzuhren schauen, ist die Chance groß, dass du derjenige bist, der am weitesten daneben liegt, wenn es ans Runterzählen der letzten 10 Sekunden geht.

Denn jede mechanische Uhr, egal von welcher Marke oder wie teuer, hat eine sogenannte Gangabweichung. Sie weicht also immer etwas von der realen Zeit ab. Je nachdem, welche Uhr du trägst und wann du sie zuletzt gestellt hast, kannst du also am Silversterabend irgendwo zwischen wenigen Sekunden und mehreren Minuten zu früh oder zu spät wissen, wann es Zeit für die ersten Raketen ist.

Ganggenauigkeit: Warum sind mechanische Uhren nicht genau?

Zunächst einmal zur Beruhigung: Diese Gangabweichung ist ganz normal. Ein mechanisches Uhrwerk in einer Automatikuhr ist ein wahres Wunder der Handwerkskunst, aber nicht der Präzision. Winzige Zahnräder, Federn, Spiralen und unzählige Einzelteile werden so zusammen gesetzt, dass die Uhren nicht selten in der Lage sind, ihren Besitzer zu überleben, über Generationen vererbt zu werden und auch nach 100 Jahren noch, die Gangabweichung kurz außen vor gelassen, präzise die Zeit anzuzeigen.

Doch: Eine mechanische Uhr kann sich nicht an einer Referenz orientieren. Sie kann keine Atomuhr anfunken, die die Zeit regelmäßig korrigiert (Funkuhr), hat keine Batterie, die mit präzise gesetzten Impulsen eine Ganggenauigkeit von etwa 20 Sekunden pro Monat erreicht (Quarzuhr) und kann sich auch nicht mit dem Internet verbinden, um die aktuelle Uhrzeit in deiner aktuellen Zeitzone abzurufen (Smartphone).

Hinzu kommt noch, dass die Mechanik deiner Automatikuhr ständig wechselnden Umständen ausgesetzt ist. Alleine die Lage am Handgelenk ändert sich fast sekündlich, wenn du durch deinen Alltag gehst. Es gibt Schwankungen in der Temperatur, jedes Abklatschen mit einem Freund ist ein Stoß, den die Uhr abfangen muss, und obendrauf lauert auch noch an jeder Ecke Magnetismus, vor dem du deine Uhr nicht immer schützen kannst.

Ganggenauigkeit: Wie genau muss eine mechanische Uhr sein?

Das bringt uns zu der Frage, wie viel Gangabweichung für eine mechanische Uhr in Ordnung ist? Als Faustregel lässt sich sagen, dass eine normale mechanische Uhr etwa 10 bis 30 Sekunden pro Tag daneben liegen darf, also entweder zu schnell oder zu langsam geht. Solange deine mechanische Uhr also nicht jeden Tag Zeit im Minutenbereich gewinnt oder verliert, ist erst einmal alles innerhalb der Norm.

💡 Gut zu wissen

Der Tag hat 86.400 Sekunden. Geht eine Uhr also um 10 Sekunden pro Tag falsch, klingt das erstmal viel, die Abweichung liegt aber nur bei 0,01157 Prozent. Anders ausgedrückt: Die Uhr ist zu 99,99 Prozent genau.

Es gibt aber unter den mechanischen Uhren große Unterschiede in der Präzision. Und auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen, kann man schon sagen, dass hier auch der Preis der Uhr und der Name der Uhrenmarke eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Stichwort: COSC, Omega Master Chronometer und Rolex Superlative Chronometer.

COSC-Zertifizierung als Chronometer (-4 bis +6 Sekunden)

So lassen zum Beispiel vor allem große Marken mit Uhren im mittleren bis hohen Preissegment ihre Uhren auf eine gewisse Präzision zertifizieren. Die Zertifizierung übernimmt dabei die COSC (Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres), die offizielle schweizer Prüfstelle für Chronometer.

Um hier zu bestehen, muss das Uhrwerk auch nach verschiedenen Tests noch eine Gangabweichung von -4 bis +6 Sekunden pro Tag erreichen. Diese Tests dauern 15 Tage und prüfen die Ganggenauigkeit des Uhrwerks in fünf verschiedenen Positionen und drei verschiedenen Temperaturen.

💡 Gut zu wissen

Die Tests des COSC umfassen folgende Positionen und Temperaturen:

  • 2 Tage Krone links bei 23 °C
  • 2 Tage Krone oben bei 23 °C
  • 2 Tage Krone unten bei 23 °C
  • 2 Tage Zifferblatt unten bei 23 °C
  • 2 Tage Zifferblatt oben bei 23 °C
  • 1 Tag Zifferblatt oben bei 8 °C
  • 1 Tag Zifferblatt oben bei 23 °C
  • 1 Tag Zifferblatt oben bei 38 °C
  • 2 Tage Krone links bei 23 °C

Es gibt aber auch Marken, denen eine COSC-Zertifizierung, die so etwas wie der Goldstandard unter den Chronometer-Zertifizierungen ist, noch nicht reicht.

METAS-Zertifizierung als Master Chronometer (0 bis +5 Sekunden)

Beispiel Omega. Omega lässt viele seiner Uhren, darunter auch die neue Speedmaster Professional Moonwatch mit dem neuen Kaliber 3861, nicht nur von der COSC zertifizieren, sondern auch noch durch ein eigens entwickeltes Prüfverfahren in Kooperation mit METAS, dem Eidgenössischen Institut für Metrologie. Dieses Testverfahren beinhaltet weitere acht Tests des vollständig eingeschalten Uhrwerks innerhalb von 10 Tagen und bezieht auch Magnetismus mit ein.

Das Versprechen: Jeder sogenannte „Master Chronometer“ von Omega ist auf 0 bis +5 Sekunden pro Tag genau. Das ist insofern gut für den Besitzer der Uhr, weil die Uhr dadurch niemals Zeit verliert, sondern höchstens gewinnt. Dadurch ist der Träger erstens nie zu spät und zweitens kann er alle paar Tage oder Wochen durch kurzes Ziehen der Krone den Sekundenzeiger einfach anhalten und die vorgelaufenen Sekunden ausgleichen.

Superlative Chronometer von Rolex (-2 bis +2 Sekunden)

Auch Rolex hat einen eigenen Standard, der noch mal einen Schritt weiter geht als die reine COSC-Zertifizierung, die hauseigenen Zertifizierung zum „Superlative Chronometer“. Diese beinhaltet ein besonderes Siegel (Hangtag), das mit jeder Uhr ausgeliefert wird, den entsprechenden Schriftzug auf dem Ziffernblatt und eine fünfjährige internationale Garantie. Dafür laufen alle „Superlative Chronometer“ mit einer Ganggenauigkeit von -2 bis +2 Sekunden pro Tag.

💡 Übrigens

Rolex-Tochter Tudor setzt auf ein ähnliche strenges Verfahren wie ihr Mutterkonzern. Allerdings dürfen Tudor Chronometer eine Gangabweichung von -2 bis +4 Sekunden pro Tag haben.

Ganggenauigkeit: Ab wann sollte ich zum Uhrmacher?

Am wichtigsten ist, dass du dich mit deiner Automatikuhr wohlfühlst. Wenn du jemand bist, der sehr stark auf Präzision achtet und deine Uhr außerhalb der Norm läuft, kann ein Uhrmacher deine Uhr in der Regel einfach nachjustieren. Je konstanter deine Gangabweichung ist, desto einfacher ist es für den Uhrmacher. Meistens sind dafür nur wenige Handgriffe nötig.

Schwieriger wird es, wenn deine Gangabweichung stark schwankt, deine Uhr also an einem Tag 10 Sekunden verliert und am nächsten Tag 30 Sekunden gewinnt. Dann ist eine genauere Suche nach der Ursache nötig, die etwas längere Zeit und mehr Aufwand seitens des Uhrmachers erfordert.

Zudem kann es auch sein, dass deine Uhr fällig für eine Revision ist. Alle 5 bis 10 Jahre, je nach Modell und Hersteller, sollten mechanische Uhren zur Revision zum Hersteller oder einem Uhrmacher deines Vertrauens. Hier reinigt dein Uhrmacher das Uhrwerk, tauscht Verschleißteile aus und ölt die wichtigsten Teile neu. Wenn dir also nach vielen Jahren auffällt, dass deine Uhr ungenauer wird, kann es Zeit für eine Revision sein.

💡 Bitte beachte

Wenn du dich innerhalb der Garantie befindest, solltest du deine Uhr im Falle einer hohen Gangabweichung zum Hersteller schicken, und nicht zu einem unabhängigen Uhrmacher bringen. Die Behebung des Problems ist meistens von der Garantie abgedeckt und so kannst du sicher gehen, dass du deine Garantie nicht durch Fremdöffnung der Uhr verlierst.

Fazit: Mechanische Uhren sind kein Meisterwerk der Ganggenauigkeit

Wie bereits eingangs erwähnt: Mechanische Uhren sind Meisterwerke der Handwerkskunst, aber nicht der Präzision. Eine gesunde Gangabweichung von einigen Sekunden pro Tag ist absolut in Ordnung und im Soll. Wenn deine Uhr ein COSC-zertifizierter Chronometer ist, sollte sie im Bereich von -4 bis +6 Sekunden pro Tag liegen. Genauer wird es nur bei manchen Herstellern wie zum Beispiel Rolex, Tudor oder Omega, die eigene Maßstäbe an ihre Uhren anlegen.